Donnerstag, 5. April 2007

Eine Freundschaft schenken

Sie weint. Weint hemmungslos, versucht es gar nicht zu verbergen, steht in der Bürotür, zittert, kommt nicht vorwärts, nicht rückwärts. Wischt keine einzige Träne ab, sucht mit Händen Halt, findet nichts, nur ihr Gesicht, schlägt die Hände davor, um nichts zu sehen, um zu verschwinden. Sage kein Wort, nehme sie nur in meine Arme, lasse sie ruhen, lasse sie weinen, sich ausweinen. Sanft streichel ich ihr über den Kopf, sie lässt sich sinken, Arm in Arm, Wange an Wange - ich nehme ihr Zittern auf, spüre ihre Tränen, die von ihrer Wange auf meiner weiterfließen.

Ich kenne sie gar nicht. Kenne sie nur als Arbeitskollegin, immer pünktlich da, immer pünktlich fort, aber immer perfekt in der Arbeit, sicher, freundlich, unverbindlich. Ein paar nette Worte in einem Jahr, kurze Berichte vom Urlaub, nicht mehr, nicht weniger. Verheiratet, noch keine Kinder, ihn hat noch keiner hier gesehen, keiner weiß wer er ist, keiner weiß, wie er ist.

Sie weint hemmungslos, schluchzt, schluchzt in meinen Armen. Beruhigende Worte, nur nicht fragen, nur nicht bohren, weiter verstören, einfach halten, Halt geben. Lasse Telefone klingeln bis sie verstummen, kann nicht einfach gehen ohne fallen zu lassen.

Sie redet. Worte nicht zu verstehen, weil Weinen sie verschluckt, frage nicht nach, warte einfach ab, soll sich lösen, was sich lösen kann, streichel nur über ihren Kopf, sanft und lieb. Ein erstes Wort, ein zweites Wort, mehr und mehr dringt zu mir, klar und verständlich, noch ohne Zusammenhang, ganz egal, rede, spreche, was du magst. Kann im Moment nichts anderes tun als zu sein.

Sie erzählt. Verstehe immer mehr, kein Sehen, kein Blick, Wange an Wange erfahre ich was geschah ohne je gefragt zu haben. Sie erzählt von ihrem Mann, von ihrem Haus, vom Garten, von Hoffnung und Zukunft. Berichtet von einer Liebe, für die sie verzichtet hat auf Freundinnen und Freunde, weil er es so wollte und sie es für ihn tat. Sagt, warum wir sie nicht kennen, obwohl sie täglich unter uns, berichtet von Eifersucht und Besitzanspruch eines Mannes, dem sie gehört, den sie liebt. Höre von Verzicht, von Geben ohne zu bekommen, nur um eine Liebe nicht zu gefährden.

Und dann fuhr sie eben im Mittag heim, heim um vergessene Unterlagen zu holen. Schon im Flur hat sie ihn und die andere gehört, im Wohnzimmer sah sie, was sie nicht sehen wollte. Eine Frau lag nackt vornüber auf dem Tisch, ihr Mann bedrängte sie von hinten, sie hat die Frau nicht erkannt, beide haben sie nicht gesehen, sie ist erstarrt, dann einfach auf und davon, kein Denken, keine Gedanken, nur Bilder, dann stand sie in der Bürotür, heulte, schluchzte, hemmungslos und suchte Halt.

Keine Freunde, keine Kontakte, Eltern weit fort und die Welt liegt in Trümmer. Keine Heimat, kein zuhause. Eine Ehe, keine Liebe, die Liebe ist erstarrt dort im Wohnzimmer, zerfiel in Augenblicken zu nichts. Und die Ehe ist auf einmal nur noch Leere, nur noch ein Versprechen auf Papier, das nichts mehr wert, nur noch Vergangenheit.
Immer noch Wange an Wange, immer noch Tränen, immer noch dieses Klammern, dieses Suchen nach Halt. Ja halte dich, halte dich ganz fest. Spürst du die Wärme? Meine Nähe? Lasse dich fallen bei mir, ich kenne dich nicht, aber nehme, was ich dir geben kann. Minuten vergehen, oder gar Stunden, längst ganz allein im Büro, Telefone schrillen ungehört. Kann nichts tun, nur stehen, nur Halt geben.

Unser Haus ist groß, viel Platz - du, komm, komm zu uns nach hause. Mein Schatz wird es verstehen, nein, nicht verstehen, er wird es auch wollen, dass du kommst. Jetzt und sofort. Bleibe, bist kein Gast, bist einfach bei uns, heute, morgen, so lange du willst. Komm, wir zeigen dir alles, den Hasen, der immer abends durch die Wiesen hoppelt, den Fuchs, der immer durch diese Wiesen schleicht, das Reh im Morgengrauen, die Berge, die Wälder, komm.

Sie löst sich von mir. Schaut mich an, verweinte Augen, Tränen hier und da. Schaut und schaut, nein, du liest, liest in meinen Augen, brauchen nicht sprechen, schauen uns an wie noch nie, Blicke reden, Augen lügen nicht für den, der sie lesen kann.

Sie greift in die Tasche, reicht mir einen Schlüssel, bittet mich, in ihr Haus zu gehen, Wäsche zu holen, Sachen, die ihr lieb und wichtig. Ja, ich werde es tun, ja, ich weiß, du kannst nie wieder dahin. Kannst nie wieder unbeschwert durch die Zimmer laufen, nie wieder Ruhe im Wohnzimmer genießen ohne ihr Stöhnen zu hören, ohne zu sehen, wie er sie von hinten nimmt. Kannst nie wieder seine Augen sehen ohne zu wissen, was geschah.

Augen lügen nicht, wenn du sie lesen kannst.


Liebe Grüße von
Laureen
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