Dienstag, 5. April 2005

Ein Geschenk zum Verschenken

Wolford Swimbody Hibiscus, Sommer 2005


Alle Tische besetzt. Nein, dort hinten sind noch freie Plätze. Die Frau schaut nur kurz zu mir. Ja gerne, setzen Sie sich zu mir. Sie beachtet mich gar nicht, blickt sofort wieder auf einen der vielen Displays mit Trendshows, Mode, Models, Glamour ohne Ende.

Jetzt einfach nichts mehr denken. Genießen, sich das leisten, was ich mir heute früh versprochen habe, wenn ich alles schaffe. "Sie sehen erschöpft aus." Die Frau mustert mich besorgt. "Geht es Ihnen nicht gut?" Ihre Augen sind lieb, nicht neugierig, wache Blicke. Ich antworte höflich, aber vorsichtig. Sie setzt sofort nach. "Sie hatten einen anstrengenden Tag, nicht wahr?" Ja, hatte ich, wahnsinnig anstregend. Sie fragt und fragt, hört zu, immer interessiert, immer berührt.

Ich beginne zu erzählen, zaghaft, zunächst mühsam, dann immer leichter. So, als würden wir uns seit Jahren und nicht erst seit Minuten kennen. Sie hört von meinem Termin, der Präsentation, den Kampf um den Auftrag. Sie beglückwünscht mich zum Vertrag, freut sich mit mir, als ich ihr beichte, mich hier und jetzt in der Wolford-Boutique mit etwas Exklusivem belohnen zu wollen. Ohne Umschweife macht sie mir Mut, das Gewünschte zu kaufen, ihn, meinen Schatz damit daheim zu überraschen.

Dann redet sie. Immer kurz und knapp, nie auschweifend. Ja, auch sie wolle ihren Mann überraschen. Aber sie kann sich das Erträumte aus der edlen Boutique nicht leisten. Die Not ist in ihrer Familie ständiger Gast, Arbeitslosigkeit, täglicher Kampf um das Notwendigste, um die Familie zu ernähren. Der Mann kümmert sich um die Kinder, sie hat seit wenigen Wochen wieder Arbeit, es reicht geradeso. Und dann musste sie zu der firmeninternen Fortbildung hierher an den Bodensee. Auch sie wollte sich am erfolgreichen Schlußtag belohnen, hier und jetzt im Zentrum von Wolford. Ihren Mann mit dem neuen edlen Bikini überraschen, stolz damit in den Urlaub ans Mittelmeer fahren, den ihre Eltern ihr zu Ostern schenkten. Sie wechselt abrupt den Gedanken, schwärmt von ihren Kindern, die das Geld viel dringender brauchen.

Sie steht auf. "Darf ich Ihnen den Bikini zeigen? Bitte. Bitte sagen Sie mir, ob er mir steht." Schon am Tisch hat sie mich gebannt, im Stehen entfaltet sie ihre ganze Ausstrahlung. Schlicht gekleidet, aber sorgfältig bedacht, wirklicher Stil. Dazu die wachen Augen, der aufrechte Gang, Stolz überall spürbar. Sie lacht, sie freut sich mir etwas zeigen zu dürfen, mir, die sie erst vor wenigen Augenblicken kennengelernt hat. Ein paar Schritte durch das Restaurant, direkt in die angeschlossene Boutique. Ihre Freude steckt mich an, wir zeigen, führen einander vor, prüfen einander, geben Tipps. Die Zeit vergeht und wir stehen hier in einer kleinen Welt, die große da draußen einfach vergessend.

Sie lacht auch noch zurück an unserem Tisch. Bedankt sich für die schönen Augenblicke miteinander, schaut erschrocken auf die Uhr, beginnt zusammen zu packen. "Naja, ich kann es mir leider nicht leisten, anderes ist wichtiger." Sie hat von ihrem Wunsch-Bikini Abschied genommen. Redet von Kinderschuhen, Kinderhosen, Jacken.

Ich höre ihr zu. Höre und erinnere mich gleichzeitig. Erinnere mich an die Zeit auf Sylt vor vielen Jahren.

Ich hatte mich damals verliebt, war geblieben, bis ich kein Geld mehr hatte. Nichts mehr für die Rückfahrt mit der Bahn, kein Geld für Essen, kein Geld für eine Übernachtung. Am letzten Ferientag bat ich am Westerländer Bahnhof Autofahrer, mich auf dem Autozug mitzunehmen. Ich hatte Glück. Ein Mann bot mir an, ich könne bis Hamburg mitfahren. Erst als der Zug über den Damm rollte, ahnte ich, welches Wagnis ich beging. Hier war ich schutzlos, hilflos, keine Chance, wenn er etwas wollte. Ich hatte wieder Glück. Er wollte nichts, er war nur nett. Fragte und erzählte, Minuten, Stunden vergingen, er nahm sich sogar Zeit, um mir Husum zu zeigen. In Hamburg, mitten in der Stadt, bat er mich auszusteigen, sein Geschäftstermin dränge. Ich reichte ihm die Hand zum Abschied, er faßte kurz in seine Jackentasche, drückte mir etwas in die ausgestreckte Hand, sagte, "Mädchen, fahre mit dem Zug nach Hause. Trampen ist zu gefährlich. Machs gut." Er fuhr los, ich stand am Straßenrand, öffnete die rechte Hand und sah staunend einen Hundert-Mark-Schein.

Dieses Geschenk habe ich nie vergessen. Die Frau an meinem Tisch spricht von ihren Kindern, ihrem Mann, sie alle würden warten, sie müsse gleich fahren. "Bitte, einen kleinen Augenblick noch." Ich stehe auf, eile zurück in die Boutique. Kaufe ihren Bikini, kaufe meinen Swimbody. Zurück im Restaurant schaut sie mich fragend an, blickt verdutzt, als ich ihr die kleine Tasche reiche. Ihre Augen ganz groß. "Nein, nein, das geht nicht. Das nehme ich nicht. Das darf ich nicht annehmen, das kann ich nicht." Ich drücke ihr die Tasche einfach in die Hand. "Es ist kein Geschenk, ich gebe nur etwas weiter. Ich habe es lange genug behalten." Zwei, drei Sätze der Erklärung, sie steht auf, kommt zu mir, drückt mich, drückt mich feste und lange.

"Unter einer Bedingung, ja?"
"Welcher?"
"Ich zahle den Kaffee."


Liebe Grüße von
Laureen



PS
Wir saßen im WOW-Restaurant von Wolford in Bregenz.
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