Weine einfach nur drauflos
Warum ausgerechnet hier, verflixt, warum hier? Es gibt zig Biergärten in dieser Stadt, du wählst ausgerechnet diesen. Und dann kommst du noch zu spät. Immer wieder der Blick zur Uhr, komme, bitte nun komme doch endlich. Schaue zum Restaurant, schaue zum Straßeneingang, viele Menschen gehen hinein, gehen hinaus, nur du bist nicht dabei. Ich sehe nur ihn. Ihn, den ich hier in diesem Biergarten vor Jahren erstmals traf, wenige Tage bevor ich dir erstmals begegnete, wenige Tage bevor unser kleines Glück seinen Anfang nahm.
Damals saß ich fast am gleichen Platz wie heute. Er kam, setzte sich, erzählte, plauderte. Ich hörte zu, staunte über seine Selbstsicherheit. Fasziniert folgte ich Wort für Wort, ich, die nach tiefem Fall mühsam darum kämpfte, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen.
Du lächelst heute immer noch unentwegt, genauso wie damals, genauso arrogant wie immer. Damals zog mich dieses Lächeln dahin, war in deinem Bann, glaubte an Liebe, glaubte an einer neuen Chance auf dem Weg zurück ins Leben. Deine Einladung zum Abendessen machte mich blind für alles, was folgte.
Schon am Abend in dem schönen Restaurant hätte ich es bemerken müssen. Sein Reden, sein Plaudern, wie aufgesetzt, wie eingeübt. Immer die gleiche Art, immer die gleichen Themen, immer die gleiche Selbstsicherheit. Ich wollte es nicht sehen, wollte es nicht bemerken, nein nicht jetzt, nein nicht heute, ich wollte wieder alles in mir spüren, wenn die Gefühle vor Liebe toben, die Lust vor Lust verkommt. Nur deshalb begriff ich seine Wünsche für die Nacht als Komplimente, seine wilden Küsse draußen vor der Tür als liebendes Begehren, die ersten Griffe an Po und Busen als zärtliches Ertasten einer jungen Liebe.
Noch einmal wich ich zurück, ging alleine durch die Nacht. Doch mit einem gemeinsamen Frühstück wollte ich mich für den Abend revanchieren. Du warst pünktlich an meiner Tür. Wieder dieses falsche Lächeln, wieder die gleichen Themen, das gleiche Plaudern. Noch immer begriff ich vor Einsamkeit nichts. Wollte nur eine Hand in meiner, wollte Wärme, wollte spüren und fühlen wie die Liebe jedes Empfinden in die Höhe treibt. Und ich gab mich hin.
Der Weg zum Bett war kurz. Er tastete, er fummelte, er knetete. Er drang ein, schnell, unvermittelt. Schwer lag er auf mir, stieß hart und schnell, schnaufte und stöhnte. Ich sah sein Gesicht, ich sah es zum ersten Mal ohne dieses arrogante Lächeln, und ich hörte ihn zum ersten Mal reden, anders als sonst.
Auf mir lag ein Fremder und fickte mich. Ekel stieg hoch, Panik erfaßte mich, ich begann mich zu wehren. Er reagierte prompt, drückte meine Hände fest ins Kissen, er stieß noch härter als vorhin.
Und er schrie mich an, Worte, Sätze, die ich nie mehr vergaß.
"Du brauchst es doch, hast es nötig."
Er sabberte bei jedem Wort.
"In der Nacht hast du noch gezickt, blöde Kuh.
Gleich kriegst du, was du brauchst."
Sein Gesicht zur Fratze erstarrt.
Es passierte etwas, was ich bis heute nicht begriffen habe. Urplötzlich war ich unglaublich stark. Ich drückte ihn zur Seite, ihn, der viel schwerer, stärker und größer, befreite mich, giftete ihn an, er solle verschwinden, jetzt und sofort in diesem Augenblick. Seine Wäsche warf ich zur Tür, rannte nackt in den Hausflur, griff noch einmal seine Wäsche und warf sie die Treppe hinunter. Mein "Raus!" hallte zigfach von den Flurwänden zurück. Er rannte tatsächlich, ich warf meine Tür hinter ihm zu, sah seine Jacke, die noch über den Stuhl hing, öffnete das Fenster, warf sie einfach hinaus.
Jetzt in diesem Biergarten lächelst du wieder. Immer noch so arrogant, so selbstsicher, immer noch so falsch. Ich ekel mich wieder, ich ekel mich immer noch. Nun bitte komme doch, meine Schatz komme, lasse mich doch hier mit ihm nicht alleine. Wieder ein Blick zur Uhr.
Sehe nichts, spüre Hände sanft auf meinen Augen, fühle den zarten Kuß in meinen Haaren. Ich greife nach deinen Armen, deinen Händen, halte fest, ganz fest. Höre ganz weit weg "Entschuldigung, ich musste etwas abholen, das dauerte zu lange." Ganz egal, du bist da, und jetzt gehen wir fort, wir zwei, du und ich. Jeden Schritt zum Ausgang werde ich genießen, stolz und aufrecht an deiner Seite, Hand in Hand und er wird hinschauen, wird hinschauen müssen, wenn auch du an meiner Seite hinausgehst, stolz und aufrecht.
Unser Wagen steht auf dem großen Parkplatz unmittelbar vor dem Biergarten. Auf dem Heckträger liegt ein edles, nagelneues Mountainbike. Ich schaue fragend zu dir, schaue wieder auf das blitzende Rad, sehe erst jetzt den großen Zettel mit deiner Handschrift:
"Zu unserem Jahrestag.
Danke für alles."
Ich weine, weine einfach nur drauflos.
Liebe Grüße von
Laureen
laureen - 4. Mai, 01:46