Dienstag, 8. März 2005

Zu spät, viel zu spät

Ihre Haare sind zerzaust, filzig zerzaust.
Blaß rötlicher Lippenstift, leicht verschmiert,
die Haut bleich, ungepflegt.
Eine dicke, alte Skijacke zu ausgewaschener Jeans.
Mit beiden Händen stützt sie sich am Stuhl,
ihre Finger zittern.
Darf ich mich setzen? Bitte.

Das Bitte ist keine Bitte. Es ist Flehen.
Sie schaut sich um, der Blick unruhig.
Viele Tische im Restaurant des Bahnhofs frei.
Und sie möchte nur diesen einen Platz,
den Platz an meinem Tisch.

Von der Theke eilt ein Kellner herbei.
Sie setzt sich hastig,
wartet nicht auf meine Antwort.
Schon Meter vor unserem Tisch schimpft der Kellner.
Sie dürfen hier nicht rein. Nicht alleine.
Sie sieht mich an, fleht mich mit ihren Augen an.
Es ist gut, ich habe sie eingeladen. Einen Tee?
Sie nickt.
Der Kellner reagiert überrascht.
Aber nur, wenn sie alles bezahlen.
Ich hatte gesagt, einen Tee bitte.
Er zuckt zusammen, dreht sich um, geht.

Es ist kalt draußen. Möchte mich nur wärmen.
Nur ein paar Minuten, dann muss ich wieder hinaus.

Ihr Gesicht ist jung,
ihr Gesicht ist alt,
ihr Gesicht ist hart,
und diese zitternden Hände.
Ihre Stimme wirkt gehetzt,
ihr Blick unruhig, immer in Richtung Eingang.

Ich darf hier nicht rein. Nur in Begleitung, mit einem Freier oder so, der bezahlt. Oder so wie bei Ihnen. Es ist heute so kalt draußen. Ich friere. Bitte seien Sie nicht böse.

Sie redet und redet, trinkt hastig wärmenden Tee.
Ich höre nur zu, sehe ihre Finger, das Zittern läßt nach.

Gleich muss ich wieder raus. Kino, Abendprogramm. Dann sind meine Freier da. 10 Euro einfaches Wichsen im Kino. Blasen auf dem Klo 20 Euro. Normal Ficken nur... Ach Sch..., ich bin auf dieser Welt der letzte Mist. Das letzte Loch für die, die auch ganz unten stehen.

Ich bin hilflos.
Sie sieht mich an, merkt es.

Ich wollte Sie nicht schocken. Entschuldigung. Danke für den Tee.

Sie steht auf,
sie ist unschlüssig,
sie setzt sich wieder.

Mein Kerl kassiert. Mein Kerl nimmt mir sofort alles ab. Nach jeder Kinovorstellung macht er Kasse.

Sie dreht eine Hand, die Handfläche nach oben.
Zieht den Ärmel der Skijacke hoch.
Narben über Narben.

Gleich habe ich die nächste, wenn ich nicht da bin, sobald die Freier zum Kino kommen.

Ihre Finger zittern wieder.
Sie weint.
Sanft versuche ich zu beruhigen.
Sie nimmt es an, sieht mich an, hört zu.
Unvermittelt springt sie auf.

Ich muss raus zum Kino.
Sie sind bestimmt schon da.
Ich muss Kasse machen.
Danke für den Tee.


Helfen, irgendwie helfen.
Versuche es noch einmal.

Danke, danke, danke, aber es ist zu spät.
Viel zu spät für mich.


Und geht.
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